Der platteste Daumen?


Entstehungsgeschichte eines besonderen Kunstwerkes


750 Jahre Ratingen – wie kann der Ratinger Kunstverein dazu beitragen? Diese Frage stellte sich schon früh. Klar, durch Ausstellungen, aber ein Kunstwerk im öffentlichen Raum, das über das Jubiläumsjahr hinaus Bestand hat, wäre das Nonplusultra. Die Idee lässt die Augen vieler Kunstvereinsmitglieder strahlen und kreative Köpfe rauchen. Aber wie soll ein solches Kunstwerk aussehen, sollte es doch etwas mit der Stadtgeschichte zu tun haben, und wäre es nicht toll, wenn möglichst viele Ratinger daran beteiligt wären?

Pauline Kugler hat wie so oft eine zündende Idee. Schließlich gibt es die Dumeklemmersage. Wir kreieren ein Kunstwerk unter der Fragestellung „Wer hat den plattesten Daumen?“. Ganz nett, aber ist die Idee nicht selber etwas platt, und wie lässt sich so etwas umsetzen, werden manche gedacht haben.

Einfach nur Daumenabdrücke von Ratinger Bürgern zu sammeln und zusammenzustellen, erscheint naheliegend, aber genügt nur der Abdruck des Daumens, um den Kerngedanken zum Ausdruck zu bringen, und bekommen wir nicht vielleicht auch noch Ärger mit dem Datenschutz, wenn wir Fingerabdrücke sammeln?

Abgesehen von dem folkloristischen Anklang an die Dumeklemmersage verfolgt ein Kunstwerk aus den Daumen vieler Ratinger Bürger einen tieferen Sinn. Der Daumen, ein kleines Körperteil, steht für die Individualität eines jeden Menschen. Eine Stadtgesellschaft besteht aus vielen Individuen: groß, klein, jung, alt, Menschen, die mit ihren Händen schwere Arbeit verrichten, und „Schreibtischtäter“. Hände und somit auch Daumen sind gepflegt oder weisen Verbrauchsspuren, vielleicht sogar Verletzungen auf. All das wird nur durch einen Abguss hinreichend deutlich. Wir brauchen den ganzen Daumen.

Aber wie lassen sich viele Daumen möglichst schnell und einfach herstellen? Lange „bastelt“ Pauline Kugler gemeinsam mit Norbert Thomann an einer Idee und findet schließlich eine Methode mit einfachen Werkstoffen: selbsttrocknender Modelliermasse und Blitzzement. Wenn man die Modelliermasse etwas auswalzt und damit den Daumen umhüllt, entsteht eine Negativform. Diese lässt sich dann mit Blitzzement ausgießen. Wenn man die Form entfernt, bleibt ein naturgetreues Modell des Daumens, das noch nachbearbeitet werden muss. Genial! Im Atelier Kugler entstehen erste Prototypen.

Bei Montmartre 2025 geht das Projekt in die Öffentlichkeit, gilt es doch möglichst viele Ratinger Daumen, im Idealfall 750, einzusammeln. Die Idee zündet. Viele möchten ihren Daumen hinterlassen und so Teil des Kunstwerkes werden. Lange Schlangen entstehen. Pauline Kugler und Norbert Thomann kommen mit der Arbeit kaum nach. Am Ende sind Modelliermasse und Blitzzement aufgebraucht. In der Warteschlange kommen eingefleischte Ratinger mit anderen ins Gespräch, die noch nie von der Dumeklemmersage gehört haben. Eine kleine Lehrstunde in Sachen Stadtgeschichte. Wer hätte gedacht, dass Daumen so unterschiedlich sein können? Man sortiert, redet. Welcher ist denn nun der größte Daumen? Auch Kinderdaumen sind dabei. Darüber hinaus ist es ein eigenartiges Gefühl, ein Modell seines eigenen Daumens in der Hand zu haben. Man betrachtet ihn aus der Distanz ganz anders. Wie wohl das Kunstwerk am Ende aussehen wird, und wird mein Daumen ein Teil davon sein? Spannung und Vorfreude kommen auf.

Bis zum Ziel 750 Daumen ist es aber noch ein weiter Weg. Auch bei der Umsetzung sind noch viele Fragen offen. Wird es eine Platte oder eine Stele, und wo soll das Kunstwerk einen endgültigen Platz finden? Pauline Kuglers Traum wäre es, die Skulptur in Bronze gießen zu lassen, aber lässt sich so etwas finanzieren?

Die Daumen von 750 Ratinger Bürgern in Bronze gegossen – als Sinnbild der städtischen Gesellschaft und als Erinnerung an das Stadtjubiläum mit einem Hinweis auf die Stadtgeschichte – ein Nonplusultra! Der Anfang ist gemacht. Fortsetzung folgt.

© Text/Bilder Petra Baierl 2025