Das blaue Bild: Die Cyanotypie


Christine Hein kreiert Bilder mit einer alten Lichtbildkunst

Christine Hein, Architektin, die 25 Jahre im Bereich Denkmalschutz gearbeitet hat und seit einem Jahr Mitglied des Kunstvereins Ratingen ist, sitzt mit ihren „blaugrünen Augen“, ihrem blauen Pullover in ihrem aufgeräumten Arbeitszimmer mit vielen blauen Bildern auf blaugrün gestrichenen Wänden.

Seit ihrer Kindheit bis heute ist Blau ihre Lieblingsfarbe, selbst eine Farbberatung hat ihr die Farbe empfohlen. Blau steht für die Weite, Ruhe, Ferne, Sehnsucht und Freiheit aber auch für Kälte. Gute Voraussetzungen für Kreativität und Kunst.

Auf der jahrelangen Suche nach einer entsprechenden kreativen Technik, die zu ihr passt, führte ihr Weg über Acrylmalerei, experimenteller und abstrakter Makro- und Haikofotografie und der intensiven Beschäftigung mit dem haptischen Papierschöpfen schließlich zur Cyanotypie. Allerdings gab es zu der Zeit wenig Möglichkeiten, diese Lichttechnik zu lernen und angeregt durch das damals erste deutschsprachige Buch „Blaue Wunder“ 1 brachte sie sich diese künstlerische Ausdrucksform selbst bei.

Inzwischen hat nicht nur sie darin hohe Kompezenz entwickelt und unzählige, wunderschöne Bilder gestaltet sondern die alte fotografische Technik des blauen (Cyan-) Drucks (Typie) hat sich heute als „Lichtbildkunst“ etabliert und tatsächlich innerhalb der darstellenden Kunst ein erstaunliches Revival erlebt. Im Zeitalter digitaler Fotografie mit Tausenden von Bildern auf dem Smartphone weiß kaum noch jemand, dass der Begriff Fotografie aus dem Griechischen stammt und „mit Licht malen“ bedeutet (von „Photo“ = Licht und „graphein“ = zeichnen, malen).

„Anfangs dachte ich, damit experimentieren nur britische Fotografen oder amerikanische Hausfrauen am Küchentisch“, sagt Christine schmunzelnd. Doch als sie sich ernsthaft damit beschäftigte, erkannte sie, welche Faszination die blauen Bilder in ihr auslösten. „Die Technik liegt mir, weil ich immer aus etwas Vorhandenem etwas Neues machen will“ – die Transformation eines Gegenstandes, einer Idee oder einer Fantasie in eine neue Form, eine Zweckentfremdung durch einen kreativen Prozess. Hier beginnt Kunst.

Nach der Erfindung der Daguerreotypie 1840 und der Kalotypie mit ihren braunen und silbrigen Bildern – heute als Beginn der Fotografie angesehen – entwickelte der englische Naturwissenschaftler John Herschel 1842 eine neue Technik: die Cyanotypie. Sie ermöglicht es, ganz ohne Kamera Wirklichkeit in besonderer Form abzubilden. Dabei wird beispielsweise Papier oder ein anderer Träger wie Stoff in einem dunklen Raum mit einer Flüssigkeit aus zwei speziellen Salzen bestrichen. Dieser bearbeitete Träger wird lichtempfindlich, und unter UV-Strahlung entsteht der wasserunlösliche Farbstoff „Preußisch Blau“.

Nun werden entweder opake, halbtransparente oder transparente Gegenstände, Folien oder Negative (von digitalen Fotos kann man am PC mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms selbst Negative erstellen und diese auf Folie in der gewünschten Größe ausdrucken) auf das bestrichene Papier gelegt und mit UV Licht z.B. unter der Sonne oder ersatzweise in einem Leuchtkasten entwickelt, den Christine mit einfachen Mitteln selbst gebaut hat. So bilden sich Konturen, Schatten, Bilder (bei Negativen) auf dem nun braungrünen Grund des Papiers. Am Ende werden die Bilder zur „Entwicklung“ und Fixierung in ein Wasserbad gelegt. Nun ist das blaue Bild fertig und muss nur noch getrocknet werden.

Diese Technik erzeugt keine klassischen Fotos, sondern Fotogramme in unterschiedlichsten, allerdings immer blau-weißen Farben. Dieses Verfahren wurde ursprünglich als „Fotokopie“ bis in die 1950er Jahre auch als solche, nämlich als Blaupause z.B. bei Architekturplänen oder technischen Konstruktionszeichnungen weltweit kommerziell vermarktet und genutzt. Noch heute ist das Wort „Blaupause“ für eine „kopierte“ Vorlage, Muster, Schablone oder Entwurf gebräuchlich. (Im übertragenen Sinn wird die „Blaupause“ auch im Gesundheitswesen, vor allem der Psychologie genutzt). Heute, im Zeitalter digitaler oder analoger Kopien wird diese Technik als Kunstform neu genutzt.

Ein nächstes künstlerisches Ziel ist ein großformatiges Kunstbuch, dessen Seiten alle unterschiedlich gestaltet werden sollen – sei es als Foto oder Gemälde, als aufklappbare kleine Skulptur, mit ausgeschnittenen Elementen oder eingearbeitetem Textil, um nur einige ihrer Ideen zu nennen.

Christine hat sich bisher bei ihren Arbeiten auf drei unterschiedliche Bereiche konzentriert:

  • Flache Gegenstände: Sie legt flache Objekte wie Ginkgoblätter oder Gräser – durch Glasplatten gesichert – auf das vorbereitete Papier. Nach der Belichtung zeichnen sich die weißen Konturen auf blauem Grund deutlich ab. Solche Motive eignen sich besonders für Postkarten.
  • Dreidimensionale Objekte: Dreidimensionale Gegenstände wie Kugelschreiber, Tannenzapfen oder Salzstreuer werden auf das Papier gelegt. Je nach Belichtungsdauer und Lichteinfall entstehen einzigartige, abstrakte Kunstwerke. Der Kreativität und den entstehenden Bildern ist keine Grenze gesetzt. Hier ist oft die Künstlerin selbst überrascht, welche neuen Formen, Verläufe, Überlappungen usw. entstanden sind. So kann jeder Betrachtende sich selbst sein eigenes Bild daraus machen.
  • Nachbearbeitung: Die Ergebnisse werden durch Zeichnungen, farbige Elemente, Stickereien oder aufgeklebte Bilder weiter bearbeitet. So entstehen Collagen, die der Fantasie keine Grenzen setzen.

Die Ergebnisse können sich sehen lassen, wurden bisher in vielen Ausstellungen präsentiert und in unterschiedlichen Formaten verkauft.

Christine empfindet sich selbst in einem „Entwicklungsprozess“ und hat noch viele Ideen, diese wunderbare, vielfältige Technik weiter zu entwickeln, neue Träger, Größen, Gegenstände, große Negative auszuprobieren und zu nutzen. Wahrscheinlich geht sie durch die Welt, immer auf der Suche danach, was man alles als Cyanotypie nutzen und künstlerisch zu einem Fotogramm bearbeiten kann. Man darf gespannt sein und wir wünschen Ihr noch viele, kreative Ideen in Blau-Weiß!

© Text Michael Troesser / Bilder privat

  1. Marlis Maehrle ‚Blaue Wunder – Techniken und Projekte mit Cyanotypie‘ 39,90€ ↩︎