Das Recht zu scheitern

In der renommierten Fachzeitschrift monopol-Magazin für Kunst und Leben 1spricht in der Ausgabe August 2021 der Kunsthistoriker Jan von Brevern unter dem Titel „Start over please – Das Recht zu scheitern“ 2 ein wichtiges, oft tabuisiertes, heikles Thema an. Es geht um die Frage, warum Kulturprodukte wie Bilder, Romane, Theateraufführungen, Musik usw. oft kritisch betrachtet und/oder verrissen werden, bei der Kunst aber oft ein strenges Urteil fehlt: “Warum geben wir so selten zu, wenn zeitgenössische Kunst misslingt?“. Als Beispiel nennt er u.a. Gerhard Richter, der mehr als 3000 Werke geschaffen hat: „Jedenfalls habe ich noch keine Kritik gelesen, die das neue Bild von Richter negativ besprochen hätte.“ Zwar nennen Sammler, Galeristen, Künstler routinemäßig 70-95 Prozent der Kunstwerke „miserabel“, doch:“Warum hört man so wenig von konkreten Werken, die misslungen sind?“ Denn, so folgert er, kann etwas, das misslingen kann, schließlich auch gelingen. Und umgekehrt.

Ein erster Erklärungsversuch (basierend auf wenigen empirischen Studien) lautet: Wenn Kunstwerke die eigene Position „herausfordern“ oder „zum Nachdenken“ anregen, tendiert das Kunstpublikum dazu, Werken, zu denen er keinen Zugang hat und Missfallen auslösen könnten, eine “Besonders hohe Qualität“ zuzuschreiben. 3)

Viele haben vor der „großen“ (oft nicht verstandenen) Kunst solche „Ehrfurcht“, dass man sein negatives Urteil lieber bei sich behält, um sich mit einem negativen Urteil nicht „lächerlich“ zu machen. Und van Boveren erkennt diesen Umstand nicht nur bei dem Laien sondern auch dem Fachpublikum. Er ortet diesen Umstand u.a. an der engen, institutionellen Kunstkritik, Kunsthandel und Ausstellungen, als eine Form der Hofberichterstattung. A Proporz Hof: Früher gab es in der Tat auch eine leidenschaftliche Debatte über jedes Kunstwerk. „Noch im 19.Jahrhundert war die Kunstkritik heillos zerstritten und in feindliche Lager gespalten“. Ein kontroverser Diskurs erfordert immer Kriterien, um die eigene Position zu erklären. „Doch genau bei jenen Kriterien aber scheint es (heute) ein Problem zu geben“ schreibt von Brevern. Eine Begründung hierfür macht er durch die „Entstehung der neuen Avantgarde vor über 100 Jahren“, deren Entgrenzungen und Entformung: „Nach welchen verbindlichen Kriterien aber soll man ein Feld beurteilen, in dem das Bemalen von Leinwänden genauso möglich ist wie das Anlegen von Gemüsebeeten, in dem das aufwendige Materialassemblagen gleichberechtigt neben esoterischer Konzeptkunst stehen?“

Allerdings gibt es Kriterien, wie sonst könnte ein Bewerber zum Kunststudium zugegossenen werden ein anderer nicht, manche Kunstwerke schaffen es in große Sammlungen, manche nicht und – um es konkret zu machen – gibt es auch für diesen Kunstverein eine Jury, die Bilder und Skulpturen für eine Ausstellung zulässt, andere nicht. Doch was sind diese Kriterien? Von Brevern bezieht sich im Folgenden auf den Journalisten Hanno Rautenberg und sein Buch „Und das ist Kunst?“ von 2008. 4)

Tatsächlich sind derartige Regeln schwer allgemein zu setzten, weil sie immer wieder durch das Totschlagargument :“Freiheit der Kunst“ ausgehebelt werden können. Van Brevern hat hierzu den Vorschlag,:“Die Kunst beim Wort“ zu nehmen: „Wenn sie tatsächlich der Überzeugung ist, völlig frei zu sein und für jedes Werk eigene Regeln setzten zu können – warum nicht die Regeln ernst nehmen und auf den Prüfstand stellen? Dann ließe sich etwa fragen, ob sie hinreichend interessant (Sic! M.T.) sind, damit man sich überhaupt mit ihnen beschäftigen sollte Ein wichtiges Kriterium hierfür könnte lauten: Sind die selbst gesetzten Regeln nach denen ein Kunstwerk operiert, so anspruchsvoll, dass die Möglichkeit besteht, an ihnen zu scheitern – das Kunstwerk also misslingen kann?“ Doch auch dies ist nur eine schwere, verwaschene Möglichkeit einer eindeutigen Einordnung und Beurteilung. Das zeigt tatsächlich, wie komplex und schwierig das Thema ist, warum es vielleicht auch so wenig diskutiert ist.

Am Ende zieht von Brevern Adorno als Klärungsversuch zur Hilfe: „Adornos These, dass der Begriff des Kunstwerks den des Gelingens bereits implizierte, hat sich als große Hypothek für die Kunst erwiesen. Sie macht es der Kunst viel zu einfach, zu gelingen und sie verführt uns, den Betrachter dazu, alles, was uns als Kunst des Misslingens zu ermöglichen und damit die wenige Kunst, die tatsächlich gelingt, wieder sichtbar zu machen – wäre vielleicht der größte Dienst, den man ihr erweisen könnte.“

Richtig befriedigend ist diese Analyse van Breverns Essay nicht, bleibt er doch Konkretisierungen schuldig, die es in der Tat vielleicht nicht gibt.

Anmerkungen:

  1. Monopol, Magazin für Kunst und Leben“ ist ein Magazin für zeitgenössische Kunst in Deutschland. Das 2004 bestehende Magzin will monatlich für 15 € auf hohem Niveau kritische Debatten zu Themen wie Architektur, Design, Mode, Stil und eben auch „Kunst“ bieten.
  2. Monopol / September 2021 / „Start over Please“ – Das Recht zu scheitern „, Text: Jan von Brevern, Seite 62 – 68
  3. Der beste Ausdruck hierfür ist der alles- und nichts sagende Ausdruck „interessant“. M.T.
  4. Hanno Rautenberg „Und das Ist Kunst!? – Eine Qualitätsprüfung“ S.Fischer 2007 / ISBN 978-3-10-062810-7 C Text Michael Troesser