Berühren und berührt werden

Tony Cragg und das Blumenmeer

Natürlich lockt es viele Kunstinteressierte in den Kunstpalast Düsseldorf, nachdem bekannt wurde, dass dort die monumentalen Skulpturen des internationalen Großmeisters nicht nur zu sehen sind, sondern auch angefasst, berührt werden dürfen.

“Please Touch!“ heißt daher die Ausstellung. 

Wann steht man schon einmal nicht nur bewundernd, entfernt, mit schrägem Kopf Interpretationen suchend, ergriffen im Museum vor einem  Werk, sondern kommt  dem Künstler, der Künstlerin so nah wie bei der Berührung seiner kreativen Arbeiten. Ein Höhepunkt der Haptik, als würde man nicht nur das Werk, sondern den Künstler selbst fühlen. Denkt man jedenfalls.

Auch wenn diese Idee nicht neu ist, (z.B. hat Henry Moore im Kunstpalast schon vor Jahren einmal erlaubt, seine Skulpturen zu berühren, auch gab es ähnliche Angebote für blinde Menschen), ist diese Ausstellung ein besonderes Highlight. 

Tony Cragg, der 1949 geborene, seit 1977 Wahlwuppertaler aus Liverpool und der Generaldirektor des Kunstpalastes Felix Krämer haben die Ausstellung gemeinsam kuratiert, in der neben kleineren Arbeiten 30 große Skulpturen gezeigt werden.

Betritt man den ersten Saal der Ausstellung ist man überwältigt von der Dimension der Skulpturen. Wie entsteht solch große Kreativität, wie kann man die bis 6 Meter hohen Skulpturen bauen, transportieren, zeigen. Die Objekte sind sehr unterschiedlich, aus verschiedenen Materialien wie Bronze, Holz, Stein, auch die Farben changieren je nach Blickwinkel und Beleuchtung. Die Augen, die Sinne, die Gedanken werden daher zuerst berührt von der Monumentalität, bevor man sich vorsichtig herantastet und selbst seinen Tastsinn aktiviert. 

Wenn man dann seine Hände spielen lässt, geht man auf eine Entdeckungsreise der besonderen Art: man fühlt tief hinein in die Spalten, man erzeugt klopfend  Klänge, man streichelt sanft, fasst feste. Und da zeigt sich dann einmal mehr, was die Dreidimensionalität von Kunst ausmacht: ein  sinnliches, haptisches Erlebnis. Wie nah man durch diese Taktilität dem Künstler selbst kommt, bleibt jedem und jeder selbst überlassen. 

Interessant zu beobachten ist auch, wie oft und intensiv die halb abstrakten Skulpturen, die eine Geschichte zu erzählen scheinen, von den Besuchern befasst werden, z.B. das Werk aus tausenden kleinen Würfeln, die Skulptur eines Baumes, aus dem unzählige Hände wachsen oder ein Boot, auf dem sich viele Flüchtlinge zu drängen scheinen. Bekanntes scheint mehr zu berühren, möchte man mehr berühren als sich auf die unzähligen Möglichkeiten abstrakter Kunst einzulassen.

Fast genau so spannend wie die Objekte der Ausstellung ist der letzte Teil, ein original nachgebautes Atelier des Künstlers, in dem man – quasi backstage – Entstehungsprozesse, Entwürfe, Fundstücke sehen kann, die irgendwann zu einem Kunstwerk geworden sind oder werden. Kleinere fertige Werke sind hier ebenfalls versteckt.

Übrigens gibt es keinen Katalog, sondern für 200 € nur eine „PASSING THROUGH“, eine signierte, auf 200 Stück beschränkte Gesichtsmaske des Künstlers.


Voller Eindrücke verlässt man die Hallen, möchte schon gehen, würde da nicht kurz auf eine schnell vergehende Ausstellung in der altbekannten Sammlung Kunstpalast von Malerei, Skulptur, Designobjekten hingewiesen, die neugierig macht: „Palastblühen“.

Lässt man sich auf diese zweite Reise ein, befindet man sich in einer völlig anderen Welt: Die meist dunklen Räume der Dauerausstellung erhalten durch ein kunstvolles Arrangement von Blumen eine Spannung, wie man sie in dieser Form noch nie gesehen hat. Plötzlich betören wunderbare Gerüche die Sinne, die eben noch die Härte vielfältiger Materialien spürten. Zehn bekannte Floristen sind dem Aufruf zu dieser Ausstellung gefolgt und zeigen, wie kreativ man mit Blumen gestalten kann.

Selbst wenn man nicht sehr floral affin ist, sieht man die Kunstwerke plötzlich in einem anderen Licht. Die – oft historischen – Bilder und Skulpturen scheinen mit den farbigen Elementen aus blühenden Blumen zu korrespondieren. Dabei sind die Blumenarrangements nicht dekoratives Beiwerk oder Zierde, sondern bilden mit dem Kunstwerk eine neue Einheit. Ein neues, eigenes Werk. Erzählen eine neue Geschichte.

So z.B. im Creamcheese-Raum, in dem die Theke dieses Düsseldorfer Underground Clubs der 60er Jahre  als Kunstikone im Kunstpalast plötzlich mit farbigen Blumen versehen wird. Ein kunstvoll transformierter Raum. 

Oder die wunderbare, geschwungene Freitreppe der Sammlung, die durch zahlreiche weißer Callas ganz neue Blicke ermöglicht. Hier haben wir sie dann wieder, diese Berührung der Sinne, auch wenn man nicht haptisch berührt, sondern sinnlich ergriffen, berührt wird:

Berühren und berührt werden als eine zentrale Voraussetzung und Möglichkeit menschlicher Existenz. Und der Kunst.

Anders als bei Cragg, dessen riesigen Bronze- oder Steinskulpturen die Zeit überdauern werden, halten sich Blumen nicht lange. Sie sind Natur und ein Symbol für Leben und dessen unausweichlicher Vergänglichkeit. 

Während die Ausstellung „Please Touch!“ noch bis 26. Mai 2024 zu sehen ist, muss man sich bei der kurzen Ausstellung „Palastblühen“ beeilen: Dem Thema und der Vergänglichkeit der Objekte geschuldet, endet die Ausstellung schon am 21. April 2024.

© Text / © Fotos: Michael Troesser