Es passiert


Norbert Bongardt

Betritt man das Büro von Norbert Bongardt in Ratingen-Hösel, das er zusätzlich als Atelier nutzt, ist man überrascht. Es erwarten einen keine Pinsel oder farbgefüllten Leinwände, sondern eher Designermöbel und akribisch sortierte Materialien.

Erst auf den zweiten Blick entdeckt man überall unterschiedlichste Kunstwerke, meist Skulpturen oder zum Beispiel die großformatige Bildmontage „WIE-LEDER“: eine Fotokollage seines Fensterleders aus der Dusche, dessen unterschiedliche Faltenwürfe er in einzelnen Fotos zu einem hochformatigen Bild komponiert hat, das fast wie ein Film anmutet.

An diesem Werk lässt sich sein künstlerischer Ansatz gut erkennen: Alltagsgegenständen gibt er durch die künstlerische Transformation einen neuen Sinn.

Dieser Ansatz kommt nicht von ungefähr. Als selbstständiger Handelsvertreter für Textilien, Möbel und Leuchten hatte er in seinem Beruf ein Leben lang mit schönen, haptischen Dingen zu tun, die sich nun in seinen künstlerischen Arbeiten voll entfalten können. Zumal diese kreativen Impulse neben Beruf und Familie schon seit seiner frühen Jugend in ihm waren.

Als Schüler schwänzte er die Schule, um mit der Kamera seines Bruders zu fotografieren. Sein Wunsch, Fotograf zu werden, war entsprechend naheliegend. Tatsächlich begann er zwei Lehren bei Fotografen, die er jedoch beide enttäuscht vorzeitig abbrach. Sein weiterer Weg führte ihn in den kaufmännischen Bereich eines exklusiven Möbelhauses in seiner Heimatstadt Düsseldorf.

Bereits mit 21 Jahren wurde er Vertreter für einen namhaften Textilverlag und machte sich 1981, nach der Gründung seiner Familie in Ratingen, selbstständig.

Das Spannende an Norbert, geboren 1951, ist seine Neugier, die Schwellen und künstlerische Sparten überwindet, und seine Bereitschaft, sich in fast allem auszuprobieren. So hat er Sticken gelernt, nach Kursen im Buchbinden eigene kleine Bücher gestaltet und diese mit einer Vielzahl von Farben und Formen gefüllt.

Ein nächstes künstlerisches Ziel ist ein großformatiges Kunstbuch, dessen Seiten alle unterschiedlich gestaltet werden sollen – sei es als Foto oder Gemälde, als aufklappbare kleine Skulptur, mit ausgeschnittenen Elementen oder eingearbeitetem Textil, um nur einige seiner Ideen zu nennen.

Ein Markenzeichen von ihm sind seit langer Zeit neben seinen Fotos und Skulpturen auch die auf dem iPad gezeichneten T-Shirts, stets in gleicher Form und Größe. Inzwischen hat er über 1.000 solcher Kunstwerke gestaltet, in einem Buch gedruckt und auf seinem Instagram-Kanal (@norbert.bongardt) veröffentlicht.

Sehr markant und ideenreich sind auch seine Nagelobjekte, die er aus Alltagsgegenständen wie (zerbrochenen) Tellern oder alten Bügeleisen erschafft, indem er sie z.B. schwarz bemalt und so eigenständige Skulpturen kreiert. Eine Hommage an Günther Uecker.

Spannend sind auch seine Fotoprojekte, bei denen er unbedeutenden Dingen ein Bild verleiht – etwa Zimmerdecken aus unterschiedlichsten Räumen und Hallen mit ihren Funktionsrohren, unbeachteten Versorgungssträngen und anderen Elementen.

Ein weiteres Markenzeichen ist das Nashorn, ein Tier, das mit seinem schweren Horn sehr stark ist, aber gleichzeitig vom Aussterben bedroht wird. Der Mensch wildert es, raubt ihm das Horn und damit Leben und Würde. Hier zeigt sich der sensible, politische Norbert, der seine Affinität nicht nur in wunderbaren Skulpturen (auch zum Thema Migration) ausdrückt, sondern seine Werke mit einem Nashorn-Stempel signiert.

Norbert, erst seit 2022 im Kunstverein Ratingen, ist ein eher zurückhaltender Mensch, der nicht die große Bühne sucht. Seine Bühne ist die eigene Kreativität. Kein Gegenstand ist vor ihm sicher, jedes Ding kann zu einem Kunstwerk werden.

Ein solcher Ansatz lässt sich am besten mit dem Begriff „distinguiert“ beschreiben, nämlich vornehme Zurückhaltung bei gleichzeitiger hoher kreativer und ästhetischer Potenz auf unterschiedlichsten Gebieten.

Fragt man ihn, wie er all die Ideen, Materialien und spartenübergreifenden Kunstwerke „unter einen Hut“ bringt, sagt er schlicht: „Es passiert.“ Aber nicht einfach so, sondern auf den Kopf gestellt oder gespiegelt.

Da beginnt Kunst.

© Text Michael Troesser / Bilder privat